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Missverständnisse, also das Unvermögen von Menschen miteinander erfolgreich zu kommunizieren, fasziniert mich schon lange. Häufig und gerne nehme ich die Rolle der Vermittlerin ein, denn es gibt mir die Möglichkeit die Menschen in ihrer Kommunikation als Außenstehende zu beobachten — was schon spannend ist — aber vor allem auch Kommunizierende zusammenzubringen, Missverständnisse aufzuzeigen und sie aufzulösen.
Ein Lieblingssatz meiner Mutter ist: “Kommunikation ist alles.” Was zum einen heißt, dass im Grunde jedes Problem zwischen Menschen eine fehlgeschlagene Kommunikation ist. Ein Missverständnis. Es heißt aber auch: um diese Missverständnisse aus dem Weg zu räumen bleibt mir nichts anderes übrig, als weiter zu kommunizieren. Damit diese Kommunikation der Konfliktauflösung nicht am Ende noch mehr Konflikte erzeugt, ist es ratsam, sich näher mit dem Thema zu beschäftigen.
Es gibt eine Fülle von Kommunikationstheorien und Modellen, die beschreiben wie Kommunikation funktioniert und woran sie scheitern kann. Eines der bekanntesten ist das 4-Ohren-Modell oder Nachrichtenquadrat von Friedemann Schulz von Thun. Er beschreibt darin vier Aspekte, die eine Nachricht unweigerlich enthält, wenn ich mich äußere: Sachinformation, Selbstkundgabe, Beziehungshinweis und Appell.
Doch zur Kommunikation gehören immer zwei Seiten. Die Senderin und der Empfänger. Beide sind dafür verantwortlich, ob eine Kommunikation gelingt oder nicht. Daher beschreibt Schulz von Thun auf der einen Seite vier Schnäbel des Senders, die auf der anderen Seite auf die vier Ohren der Empfängerin treffen. Die Schwierigkeit einer gelungenen Kommunikation besteht daher nicht nur darin alle vier Aspekte einer Nachricht deutlich zu machen, sondern auch alle vier Nachrichten zu hören — und das auch mit den jeweils richtigen Ohren.
Ein Beispiel: Eine Kollegin kommt zu mir an den Platz und fragt mich, ob ich ihr helfen und mal eben ein Angebot anschauen könne. Möglichst gleich, weil es heute noch raus soll.
Was hat meine Kollegin aus ihrer Sicht gesagt:
Sachebene: Es gibt ein Angebot bei dem jemand drauf schauen muss, damit alles stimmt. Vereinbart war das Angebot heute.
Beziehungsebene: Ich komme direkt zu dir, denn du hast die größte Expertise zum Thema, ich schätze dich und möchte deine Meinung.
Selbstkundgabe: Ich bin mir unsicher und möchte mich vergewissern.
Appell: Es muss schnell gehen.
Eine typische Reaktion wäre jetzt, darauf genervt zu reagieren und mich zu ärgern, dass sie mich meiner Arbeitszeit beraubt. Wieso kommt sie jetzt so kurzfristig damit um die Ecke? Ich habe schließlich selbst genug zu tun. In diesem Fall reagiere ich auf das, was sie auf der Sachebene kommuniziert hat — Es gibt ein Angebot, was heute raus muss und auf das jemand drauf schauen soll — nicht ebenfalls auf der Sachebene, sondern auf der Beziehungsebene. Ich nehme nicht etwa die Wertschätzung dar, weil sie meine Expertise braucht und ich ihre erste Ansprechpartnerin bin, sondern fühle mich gekränkt, weil ich nur höre, dass es jetzt sein muss und scheinbar wichtiger ist als das, was ich sonst tue. Und das sende ich ihr auf der Beziehungsebene auch zurück: dass sie mich nervt. Diese Reaktion passt wiederum nicht zu ihrem Ausdruck von Respekt gegenüber meiner Expertise und führt bei ihr zu Verwirrung und wahrscheinlich zu Unverständnis und einer Abwehrreaktion.
Möglicherweise finden Sie sich in dieser Situation sogar wieder, gleichzeitig fallen Ihnen von außen betrachtet eine ganze Reihe von Dingen ein, die ich oder meine Kollegin hätten besser machen können. Und tatsächlich gibt es ein paar Herangehensweisen die helfen, solche oder ähnliche Situationen zu vermeiden.
Zunächst können wir uns bewusst machen, auf welcher Ebene wir gerade empfangen und anschließend üben, das eine Ohr eher an- und das andere eher auszuschalten. Im beruflichen Kontext ist es beispielsweise häufig sinnvoll das Sachinformations-Ohr bewusst an- und das Beziehungshinweise-Ohr eher bewusst auszuschalten, um Konflikte zu vermeiden. Dies ist insbesondere dann sinnvoll, wenn eine Angelegenheit zeitkritisch ist und wir nicht sofort die Beziehungsebene ausdiskutieren können. Es hilft aber auch, wenn es auf der Beziehungsebene einfach nicht so recht klappen will.
Gleichzeitig gilt: Wenn ich mit einem Kollegen häufiger auf der Beziehungsebene anecke sollte ich ihn hierauf in einem ruhigen Moment ansprechen. In diesem Fall höre ich dann bewusst mit dem Selbstkundgabe-Ohr, um zu erfahren, was den Kollegen umtreibt.
Und der vielleicht wichtigste Punkt beim Zuhören: Wirklich zuzuhören. Viele Menschen hören ihrem Gegenüber nicht zu, sondern warten eigentlich nur ab, bis sie an der Reihe sind zu sprechen. Wenn es aber darum geht alle Aspekte einer Nachricht aufzunehmen und auch den eigenen Interpretationsspielraum zu reflektieren, ist (erstmal nur) das Zuhören essentiell. Dazu gehört im ersten Schritt den Gegenüber wirklich ausreden zu lassen. Und das heißt nicht nur ihm nicht ins Wort zu fallen, sondern auch nicht gleich jede Atempause für die Erwiderung zu nutzen. Eine einfache Regel ist: Jede:r darf den eigenen Standpunkt darlegen. Nacheinander. Und erst dann wird reagiert. Viele Missverständnisse lassen sich aus dem Weg räumen, wenn man einfach mal den Standpunkt des anderen gehört hat. In Gruppendiskussionen sind hier zusätzlich Redezeiten und -reihenfolgen sinnvoll, damit auch wirklich jede:r zu Wort kommen kann.
Viele Menschen halten sich, insbesondere im beruflichen Kontext, mit der Selbstkundgabe zurück. Zum Beispiel weil es ihnen unangenehm ist, in diesem Kontext über ihre Gefühle oder auch Einstellungen zu sprechen. Und das ist völlig in Ordnung — jeder Mensch ist anders. Allerdings kann es schnell zu Verwirrungen beim Gegenüber führen, wenn man auf die Frage “Wie geht es dir?” mit “Alles bestens” antwortet, während man gleichzeitig missmutig drein schaut. Um dies zu vermeiden ist es sinnvoll, zumindest ein kleines Maß an Selbstkundgabe zu pflegen. Auf die oben genannte Frage kann ich auch mit: “Nicht gut, aber ich möchte hier nicht darüber sprechen” antworten ohne zu persönlich zu werden. Auf diese Weise sorge ich weniger für Irritationen und mein Gegenüber hat zusätzlich die Möglichkeit auf meine Stimmung Rücksicht zu nehmen.
Unabhängig von der Ebene ist es jeder Kommunikation zuträglich, möglichst explizit zu sein. Denn jeder Interpretationsspielraum bietet eben auch Raum für andere, als meine eigene Interpretation. Um im Beispiel der Kollegin und dem Angebot zu bleiben, hätte ihre Anfrage sowohl auf der Sachebene als auch auf der Beziehungsebene expliziter sein können. Sie hätte beispielsweise zusätzlich schildern können, woher die Dringlichkeit kommt. Eventuell stammt sie aus einer zu hohen Arbeitslast auf ihrer Seite oder aber aus einer sehr kurzfristigen Anfrage. Sie hätte ebenfalls explizit darauf hinweisen können, dass sie mich bittet, obwohl sie weiß, dass ich auch sehr viel zu tun habe, aber es leider nicht anders geht, weil nur ich ihr helfen kann. Auf der Sachebene wäre der Interpretationsspielraum dadurch sehr klein geworden. Auf der Beziehungsebene hätte sie dadurch explizit ihre zuvor implizite Wertschätzung mir gegenüber ausgedrückt und mir sofort den Wind aus den Segeln genommen.
Auch im Zusammenhang mit der Selbstkundgabe ist es nützlich explizit zu sein. Dies bedeutet in dem Fall mit “Ich”-Aussagen zu arbeiten, wenn es darum geht die eigene Position zu verdeutlichen. Im Gegensatz zu “Du”-Aussagen können sie wertungsfreier formuliert und auch angenommen werden. Ein “Ich fühle mich gerade nicht gut, ich brauche jetzt etwas Zeit zum nachdenken” wird eher auf Verständnis stoßen, als: “Du musst mich auch mal in Ruhe lassen”. Insbesondere im Rahmen von Feedback ist die Verwendung von “Ich”-Aussagen eine einfache Vorgehensweise, um Kritik nicht als Anklage sondern als Wunsch, Bitte oder persönliche Erwartungshaltung zu äußern. Diese wird von den meisten Menschen besser aufgenommen und weniger abgewiesen. “Ich wünsche mir von dir, dass du dich an die vereinbarte Zeit hältst, damit ich nicht sinnlos rumsitze” vs. “Du kommst immer zu spät.“
Wem das Achten auf die Zwischentöne und weitere Kommunikationsebenen zu kompliziert ist, kann zunächst einfach anfangen. Gerade im beruflichen Kontext ist oft schon viel getan, wenn allein die Sachebene funktioniert. Schulz von Thun hat auch hier konkrete Vorschläge, wie die Kommunikation allein auf der Sachebene verbessert werden kann. Er formuliert zwei Leitsätze: “Gehört das hierher?” und “Störungen haben Vorrang”. Was heißt das?
Ein Meeting im beruflichen Kontext hat üblicherweise ein Thema. Wenn ich morgens mit den Kolleg:innen einen täglichen Abstimmungsgtermin habe, dann geht es darum, wie wir mit unseren Aufgaben zurecht kommen, ob jemand Hilfe braucht oder ob ggfs. etwas Unvorhergesehenes aufgetaucht ist. Wenn hier nun jemand zu konkret in eines seiner:ihrer Themen einsteigt, gehört das nicht in das Meeting und sollte an anderer Stelle besprochen werden. Hier kommt der Leitsatz “Störungen haben Vorrang” zum tragen. Fällt unserer Scrummasterin nun auf, dass wir vom Thema abweichen, dann wird sie intervenieren und fragen “Ist das jetzt für alle hier wichtig?”. Wenn das nicht der Fall ist, wird das Thema auf später verschoben. Und während sonst, wie oben beschrieben, die Maxime gilt, den:die Sprecher:in ausreden zu lassen, darf in dieser Situation wirklich unterbrochen werden.
Störungen können aber von vornherein vermindert werden. Vier Punkte spielen dabei eine wesentliche Rolle: Einfachheit, Ordnung, Prägnanz sowie zusätzliche Stimulanz.
Im Grunde sind diese vier Punkte nichts anders, als eine gute Vorbereitung eines Gesprächs oder Termins. Und damit wird nicht nur die Sachebene der Kommunikation besser gestaltet. Ich sende auch auf der Beziehungsebene Signale, die sagen: “Ich respektiere dich und deine Zeit, daher gebe ich mir Mühe einen produktiven Termin zu gestalten”.
Besser zu kommunizieren sollte uns allen ein Anliegen sein. Zu oft scheitern wichtige Themen und Projekte daran, dass Menschen sich missverstehen. Um dies zu vermeiden können wir daran arbeiten und unsere Kommunikation verbessern indem wir
Und gleichzeitig sollten wir uns von der Idee verabschieden, dass all das immer und überall umsetzbar ist. Wir können nicht jeden Satz reflektieren bevor er aus unserem Mund kommt. Wir werden es nicht schaffen immer all unsere Stimmungen und Meinungen explizit und verständlich zu machen. Es wird immer noch Kommunikation missglücken. Missverständnisse werden entstehen. Das wichtigste ist jedoch, dass wir im Gespräch bleiben. Uns nicht abwenden. Dass wir auch nach einem Missverständnis versuchen, wieder eine Brücke zu bauen und das Missverständnis aus dem Weg zu räumen. Und damit komme zurück auf das Zitat meiner Mutter: “Kommunikation ist alles”. Was mit Kommunikation gescheitert ist, kann nur durch weitere Kommunikation wieder behoben werden.